2021
04
Lehrer Schöbi lässt Schuhe zeichnen
Schicke neue Schuhe
vor mir
ein Dutzend etwa
geträumt letzte Nacht
was ich jetzt trage
hat
schräg abgelaufene Absätze
Schuhe mit Vergangenheit
schon hocke ich wieder
in der alten Schulbank
Aug in Aug mit dem Schuh
zeichne
kritzele spitze radiere
Woche für Woche
Fersenrundung
Risthöhle
Schnürungseleganz
die Hand heiss
das Blatt verschwitzt
zu hängen neben
van Goghs Schuhen
aussichtslos
mein italienischer Schuster
ein Flickkünstler
wird neue Absätze kleben
für meine Zukunft mit oder ohne Kunst
03
Am Geburtstag zu sprechen
Was an einem altert
ist Haut und Knochen
sorgen dass der
Geist nicht bloss altert
sondern vielleicht
klüger wird vorsichtiger
manche nennen das
weise
ich hüte mich mir
diese Eigenschaft zuzuordnen
bis zum Tod
hoffe ich gelernt zu haben
etwas Bescheidenheit
und
nie zu vergessen
die Dankbarkeit für dich
und
sorgfältig
zu hüten die Liebe
zu dir
02
G. K. auf dem Kilimandscharo
Wie er
zurücklehnte
die Brust weitete
seufzte und darauf
sagte
Kili-man-dscha-ro
ich Keller-mand…

dann zum Glas griff
weiter vor sich hin brütete
Kiso hoch im Eis
Prosit
01
Was meine Liebste so sagt
Sie sagt
mach dir keine Sorge
bis zum Lädeli schaffe ich es leicht
es wird aufwärts gehen
hie und da hinab
es ist nicht die Zeit der geraden Strecken
denk nicht wir sind schon Greise
wir werden das packen gewiss
unterkriegen nein sagt sie
mein Stern ist der mutige Steinbock
Das war 2020
53
Tatsächlich 53 Wochen
Der Kalendermacher
hat das verordnet
Eremiten alle
wir sagen ok
Einsiedlerkrebse
in fremden Gehäusen
Kamele saufen für
Wochen
wir sind gerüstet
im Schädel
Gedanken im Rundlauf
vorbei an Haltestellen
ohne Horizont
auf Stuhl und Buch
52 mal Staub
Traum und Jahr
52
Inventar
wieviele Stunden gelacht
wieviele Stunden geredet
wieviele Stunden gezankt
wieviele Stunden geschwiegen
wieviele Stunden im Schlaf
wie lange Stunden gewandert
wie oft gemeinsam gekocht
wie oft und immer wieder
bloss
Hand in Hand
51
Es weihnachtet
Seit Wochen
blinkt glanzglitzernd
Weihnacht im Supermarkt
jetzt im Dezember heisst es
hol doch die Silvestersachen und
vergiss nicht Karneval kommt bald
dieses Tempo liegt mir nicht
ich mag es ruhig
ich rieche gerne Tannenduft
Weihrauch und Kerzen
bin halt alt altmodisch ja
ich sitze zufrieden
blättere und lese und
knabbere lustvoll dazu
Weihnachtsplätzchen
genauso wie einst mein Vater
ich pflege meinen eignen Kitsch
er glänzt und blitzt
derselbe ist’s seit Jahren
Neujahr kann warten
50
Sätze entfallen
Wer sind wir denn
auf unserem Ausguck
mit Rund- und Weitsicht
Seher Propheten
steht jemand
stehen viele
da ist Welt
sag ich ok du bist du
sag ich nichts
sag ich was geht mich das an
sag ich will ich denn alle lieben
sag ich es wird schon werden
Rundsicht ohne Antwort
entfallen
die klugen hilfreichen Sätze
49
Vollmond
Ein Mond pockennarbig
schielt auf uns dreht ab
verschwindet und kehrt wieder
Vollmonds Nachtmahr
verstört zu wirren Bildern
legt Nerven frei enthemmt
und lässt nicht schlafen
wie kommt es
dass er hingegen mich stets
freundlich grüsst mit liebem Licht
mich gar in Frieden träumen lässt
ich will’s ihm danken
und zeichne ihn
als makelloses Rund
48
Kleiner virologischer Weltuntergang
Es lockt wieder mancherorts
die Sehnsucht nach gestern wächst
meine Liebe
was ist da zu sagen
es hat uns bestohlen
wie kann ich so
morgen in den neuen Tag
hineinbummeln
47
November 2020
Ein müder November
verwirrt
mit strahlender Sonne
träge
Tage
Marienseide
im Haar
stummer Gruss
warte bis
alles im Senkel
bald
nie
wieder
46
Kontinent im Herbstblau
Aus gezacktem Halbrund
grünem Waldland
Bergwälder
anschwellende Adern
gelber Strom
gegen Süden
sage ich
fünf Nebenflüsse östlich
zwölf Seitenarme
fünf Nebenflüsse westlich
zwölf Seitenarme
hinab
in goldene Senken
endet als einsamer Strom
im Stiel
des Blatts
auf meiner Hand
der Sommerlinde
heute im Herbst
45
Blätterfall am 27. Oktober 2020
Gruss an Rilke
und die Vergänglichkeit
ich mache mich
auf
die Wege des Fallens
in Turbulenzen
Schweben
Taumeln Segeln
ruhe
im Dazwischen
Auf- und Abwind
Säusellüftchen
lassen tanzen
Böen wirbeln
hinauf haushoch
Torkeln
hinab hinab
zum sanften Aufsetzen
ich
wäre ich nasses Blatt
klatschte auf
schwere Blätter
klatschen auf
nach
schnellem Sturz
44
Ausgetrunken
Eben noch voll
ächzt
die PET-Flasche
mit bösartigem
Knirschen Knacken
knallt unvermittelt
du erschrickst
vom Schuss
aus der Leere
43
Im Regen
Im Regen
sind Blätter gefallen
viele nicht alle
apart verteilt wo ich gehe
eine Art nobler Teppich
keine Blätterhaufen
nicht die Raschelwälme
für Kinderfüsse
heute Morgen
passte dazu
ein kleiner Schuss
Herbstmelancholie
böte die Welt
nicht schon wieder
Bilder wie wir sie
von früher kennen
mir bleiben
Wut
und die kleine
Freude am Herbstlaub
42
Ohne
Ich möchte einen Text schreiben
ohne Pointe
eine kleine Wörterwanderung nur
hoffend
auf heitere Ausblicke
obenauf
spekulierend auf Einsicht
vielleicht
auf Wörter worauf
sich bequem sitzen lässt
wenn nicht gar schlafdösen
aber nichts Stachliges
keine nervösen Zickzackwörter
41
Belangsloses
Rheumatismen
rote Augen Jucken
abgeschmettert
Anfragen
zuklappen
die Tage werden kürzer
fünf Bücher noch nicht gelesen
soll ich das einfallende Dunkel
schon Nacht nennen
andernorts
schiessen sie
wieder
40
Kranker Freund
Umgeben von Malfaisants
korrupten machtgeilen Regierenden
umzirkelt von Jemanden mit
weissen Sneakers coiffierten Bärten
kommt einen die Lust an zu Spässchen
farbige Socken sind kein politisches Statement
weckt keinen Hund auf
stürzt keine Regierung
hilft keinem Flüchtling
ist bloss dumm hilflos
ich besuche jetzt
meinen kranken Freund
39
Sprich
Verlangsamt
die fliessende Leichtigkeit
der Sätze
von Frühling und Sommer
Wörter
im Netz
von schon Gesagtem
öde und blass
sag nein
sprich die Wärme
der Herbstfarben
38
Noch da
Vom Sprungturm springen
Kinder
mutig verspielt furchtlos
so schön ist das Leben
wie lange ist das her
etwas Heiterkeit von damals
ist noch da
auch wenn ich nicht mehr springe
37
Vorbei
Vorbei Sommer
vorbei Jahre
vorbei
freundlich ist sie
wehr dich nicht
hock dich aufs Pendel
lass dich wiegen
schaukle
irgendwann enden
Schmerz und Glück
vergiss vorbei
schaukle
36
Trumps Wählerpotenzial
QAnon u.ä./ Trump: «Ich weiss nicht viel über die Bewegung, abgesehen davon, dass sie mich sehr mögen. Wie ich höre, lieben diese Leuteunser Land.»
Es giesst als leerte sich über uns
ein Pool der Überirdischen
es mögen des Satans Kumpane sein
die dort tollen
er ist wieder in Mode
lenke
geheime Klubs
gierend nach Weltbeherrschung
das ganze Arsenal alter ekliger Theorien
wird flott kolportiert fromm geglaubt
nicht bloss in USA
speiübel wird mir dabei
ich kenne die Geschichten
todbringende
ich weiss um die Gemordeten
dumpfe Dummheit erdenkt sich einen Satan
schleicht sich so aus der Verantwortung
für das
wozu wir Menschen fähig sind
Srebrenica und Holocaust
35
Wenn möglich leicht
Ein Federchen am Boden
am Eingang zu Rehatechnik
habe vor
auf eigenen Beinen
weiterzuleben
habe vor
auf eigenen Beinen
weiterzuleben
federflaumig nicht
wenn möglich jedoch
ohne Bandagen
34
Schleuderkurs
Der Anruf
des leidenden Freunds
lastet
noch klingen
Lachen und Heiterkeit
von gestern
Hochzeitstafel
Krankenbett
Schleuderkurs
gefragt
ungefragt
mittendrin
33
Gebälk
Es knirscht und knackt
in Schulter und Nacken
kracht
wie das Gebälk
im Haus wo ich einst wohnte
das Haus
lebt weiter ohne mich
es wird mich überleben
bis auch es
zerfällt
in Asche wie ich
32
Hier ist nicht dort
Die Hitze ist gewichen
die knallende Helle auch
es atmet sich leichter
geschwunden ist
was an Mittelmeergefühl
sich breit gemacht
geblieben eventuell
ein Sehnsüchtlein
nach Salz und Wellenrauschen
und die Einsicht
diesem Sommer zu Trotz
hier ist nicht dort
Intermezzo zum Nationalfeiertag


…wieder einmal anpacken und zufrieden sein, dass wir hier leben dürfen.
31
Geparkte Autos reflektieren
Oben
im hellen Rechteck
an der Stubenwand
tanzende Figuren
übereinander geschoben
Schatten
Rebenlaub Rebenranken
luftlichtige Illusion
im Flirren
verbleichend
30
Sachlich 42×56 33×41 24×30
Passepartouts mit Rückkarton
alle säurefrei 70×100 60×80
gratis abzugeben
Reaktion null
niemand will
Gesicht zeigen
heutzutage
will sich niemand
chic gerahmt sehen
Maskenbluff
wie üblich
aber sofort
säurefrei und steril
man zeigt
jetzt die Füsse
Schuhnummern als
Freundlichkeitsquotient
abzugeben auch
diverse Löschpapiere A4
Plexigläser 15×24
als Masken- oder Brettersatz
29
Marias Seufzer
Sie ist gestorben
jetzt muss ich
die Uhr aufziehen
sie war besorgt
für die Zeit
ich für das Geld
jetzt hängt die Zeit
nur noch an mir
bis ich sterbe
28
Überlegen
Stelle dir vor
die Schwebefliege
schaut dir in die Augen
wartet auf einen Satz
du sagst ihn nicht
sie wundert sich
über deine Unfähigkeit
ins Gespräch zu kommen
ist ihr Mimikry
nicht Aufforderung genug
zu fragen
wer bin ich bist du
deine Ignoranz
hält dich für überlegen
der Horizont ihrer Art jedoch
ist ein anderer
er liegt Millionen Jahre
vor deiner Art
27
Quelque chose approche (Christiane Veschambre)
Etwas
wird
wird sich
öffnen ohne Zutun
aus dem Schatten gleiten
aus der Hitze tropfen
pulsieren
langsam
fallen wie ein Kiesel
und bleiben
fliessen
fliessen
du wartest bis
es dein Etwas ist
keines andern
26
Dilemma des Agnostikers
Ich habe im Halbschlaf
über Schwebefliegen nachgedacht
ich nehme mir vor über sie zu schreiben
beim Frühstück im Garten
steht eine direkt vor meinen Augen
Stehfliegen ist ihr anderer Name
das Kostüm ähnelt den Wespen
sie sind aber nicht stechend
sie seien Nützlinge heisst es
Falter Mücken Florfliegen
sind mir in letzter Zeit
unerwartet nahe
bewundernswerte Tiere
oder soll ich sagen
Geschöpfe
25
Totentänzlein
Nun
tanzen wir weiter
als wäre nichts gewesen
die Pest ist vorbei
erwischt hat sie andere
heute rot morgen tot
so war’s schon immer
24
Wünschlein
Die Ausdauer
des gurrenden Täuberichs
möchte ich haben
und das Lied der Amsel
23
Gedanken schauen
Müde
coronablockiert quasi
suche ich
für meine Gedanken
Anderes
Aufgaben oder Spielwiesen
flögen sie wie der Weih
Wahnsinns Perspektive
lass das
da sitzt
eine kleine Fliege
eine sehr kleine
tupft mit ihrem Rüsssel
meinen Zeigefinger sauber
gedankenverloren ich
sie auch
scheint mir
ich schaue bloss
22
O Tempora
Glockengeläut
wenn überhaupt nur zaghaft
Liturgie in leeren Kirchen
und Schau-Abendmahl
abgekartet
von gottlosen Geheimbünden
heisst es und schon
haben wir die neue Religion
mit lauten Anhängern
die wissen wo Gott hockt
endlich
Halt
in gottfernen Zeiten
21
Geerbt
Geerbt eine Tischdecke
mit einem Muster
wo rote gelbe grüne Linien
weisse Felder umfassen
beim Bügeln dieser Tischdecke
bin ich abgedriftet
habe zwischen den Linien
Gärten wachsen lassen
mit sprechenden Blumen
Gärtchen voll Vogellieder
einen Brunnengarten
spiegelnd Himmelsblau
und Sternennächte
Grossmutter
lass mir die liebe Illusion
schon du habest
diese Gärten geträumt
20
Weg damit
Heute
habe ich Erinnerungs-Alben zerschnitten
habe Fotos weggeworfen
wusch fort mit Ausstellungsbelegen
mit Schülergedichten aus den 60ern
mit Anerkennungs- und Danktexten
wie frei es sich atmet
unbelastet
zum Apéro und zu Tisch
dann
geht’s es an die kostbaren Stücke
weg damit
was soll der Brief das Bild
dein Herz hängt nicht mehr dran
und deinen Nachkommen wird’s egal sein
über die Schulter
werfe ich nette Tage
Hübsches in den Eimer
mir bleibt genug
Freundinnen und Freunde>
Kuss und gutes Wort
euch behalte ich
und dich meine Liebe
19
Altersweisheit und Güte
Zurückgebunden durch Corona
verführt durch die freie Zeit
habe ich in Stössen alter Fotos gewühlt
Grossvater samt Tabakpfeife
mit Grossmutter auf der Bank
umringt von Kindern
gemütvolle Szene
eines verdienten Lebensabends
längst habe ich aufgegeben
Tabakpfeife zu rauchen
was gebe ich für ein Bildchen ab
mit Ruhe Herzlichkeit Mitgefühl
ein gemütvolles
für die Nachkommen
in Radlerhose und Sneakers
auf den Lenker gestützt
lächelnd
rüstig in Berglermontur
mit Alp Hintergrund
lächelnd
am Schreibtisch
konzentriert mit Laptop
aber gütig lächelnd
vielleicht
18
Verstehen
«Dabei ist das Nicht-Verstehen ja nicht die Ausnahme, sondern die Norm des Lebens»
Fritz Senn in NZZ 21.1.11
Wie nun ist das zu handhaben
ich ergebe mich
nixverstaan
keine Frage mehr
vor Augen
den möglichen Zusammenbruch
unseres Finanz- und Wirtschaftssystems
weiter fragen
die Nachmittagssonne
legt mir
Blickwechsel nahe
aus dem Spalt
zwischen Steinplatten
ein bescheidenes Büschelchen
Veilchen
17
Seuche und kein Ende
Der Himmel ist blau
das Wetter ist schön
es geht etwas Wind
es ist ruhig Johann W.
relaxed im Garten
geniesse ich
Stille und Bläue
Ostern
kein Pudel ist in Sicht
der Teufel kreist
als Pleitegeier
der Nachbar weiss nicht
ob und wie
sein Laden überlebt
lieber Goethe
hast du vielleicht Kontakt
zu einer netten Dame droben
die dem Chef den Satz entlockt
ihr seid gerettet
würd mir echt helfen
diesen Frühling weiterhin
zu schätzen
16
Wo nachschlagen
Grossartig überwältigend
oder ähnlich
passt für diese Frühlingstage
man möchte die ganze
Welt Natur Landschaft
oder ähnlich
einatmen umarmen
in sich neu aufstellen
oder ähnlich
in Herz und Seele
einen blühenden Garten
eine Blustbaum voll Vörgel
wachsen einfallen lassen
oder ähnlich
wo soll ich nachschlagen
um definitiv
die richtigen Wörter zu finden
für diese Tage
15
Gleichgewicht
Bilder für
das Gleichgewicht
zwischen innen und aussen
diese Tage nun
machen Metaphern unnütz
du brauchst
etwas zu essen zu trinken
was auch immer
Brot Wasser einen Apfel
eine Stimme
aus dem Telefon
sagt ich höre dich
was morgen sein wird
ist offen
alles nur jetzt
14
Freundlicher Gruss aus der Isolation
Die Virus Seuche geht um
wär ich jung würds mich nicht kratzen
ich bin alt da beginnts zu denken
steht der Tod schon vor der Tür
und klopft
Ick stehe uff und kieke,und wer steht draussen? Icke.
die Berliner Klops Zeile trifft es
Salto rückwärts
so oder so
ich bin auch er
Freunde so ist es
Und das ist die ganze Klops-Zeile:
Ick sitze da und esse Klops. Uff eenmal kloppt’s. Ick sitze, staune wundre mir, uff eenmal jeht se uff de Tür. Ick stehe uff und kieke, und wer steht draussen? Icke.
13
Virale Langeweile
Leere Agenda
viel sehr viel Zeit
Langeweile ohne Grenzen
leere Regale
leer Reis Nudeln Mehl
nein niemand hungert
Toilettenpapier alles weg
vielleicht hilft zählen
gegen die Langeweile
250 Blätter pro Rolle
12
Worum geht es
Die Augen brennen
das Knie knirscht
ich bin lustlos
das Leseprojekt ist abgesagt
Viruspanik grassiert
worum geht es
alle Menschen sterben
immer sterben Menschen
alte Menschen sterben eher als junge
worum geht es also
mein Knie knirscht
so oder so
jetzt
habe ich Zeit
11
Nach Hause
Auf dem Heimweg
sah ich
zwei dürre Blätter
am Strassenrand
kurze Windstösse
liessen sie
drehen und hüpfen
eins übers andre
spielen als wäre es ihr Leben
zu Hause
im Briefkasten Werbezettel
ein Händler möchte
mein Auto kaufen
ich habe keines
auf Zettel zwei will
ein Unternehmen
mich beim Umzug unterstützen
ich will gar nicht umziehen
der dritte Zettel droht
Du bist schuldig vor Gott
Richtschwert und Bibel
im Bild verheissen
mir Hölle und Vernichtung
ich denke
an das heitere Spiel
der Blätter
und sage danke
10
Der verflixte Virus
Herta Müller erzählt eine kleine Episode, wo ihr ein Taschentuch
als saubere Sitzfläche auf einer Treppe diente.
In meiner Kindheit musste ich in der Schule montags
ein sauberes Taschen zeigen können
Heute soll jedermann beim Niesen
ein sauberes Taschentuch vor Mund und Nase halten
Hätten wir kein Burkaverbot wäre heutzutage
der Corona Alltag bedeutend einfacher
9
Roch
Heute Morgen habe ich
den Vogel Roch
gesehen
aus dem Zug
am Himmel kilometerlang
was für eine Gewalterscheinung
hilfreich drohend
sticht mit langem Schnabel nach Westen
unglaublich zart gefiedert aber riesengross
schiesst dahin zielsicher
um mich
alle mit Laptops und Handys
keiner sieht den Vogel
keiner bemerkt
dass er jetzt genau jetzt
die Lebenschance verpasst
auf den Flügeln des Roch
endlich
das Land der Seligen zur erreichen
8
Sturm
Wie wohltuend
hie und da ein Sturm
wie in diesen Tagen
bricht Abgestorbenes
aus Baumkronen
wirbelt es durch die Luft
wirft es hin wie es gerade passt
und ich bewundere
die Bruchstücke
ihre bezaubernden Flechten
die Moose die bizarren Gebilde
als wäre ein pfiffiger
Dekorateur am Werk gewesen
mir zuliebe
7
10.Februar Orkan Sabine
Aus den Herbststürmen meiner Jugend
sind Winterstürme geworden
stelle ich fest
was steckt noch im Alter
gewaltige Böen
schütteln die Fichte am Hang
aus den Ästen
Sturm Musik
bitte brich nicht
Wolkenberge rasen
morgen
soll der Sturm vorbei sein
6
Probleme
Probleme
sind genug da
echte
ob ich noch leben möchte
in der übernächsten Generation
ich weiss nicht
meine Katze äussert sich nicht dazu
sie frisst spielt und schläft
ich schreibe schon mal ein Klagelied
das entlastet
natürlich nützt das niemandem
ausser mir
ich bin ein Schönwetterphilosoph
5
Ach ja so war es
Erinnern
schwächelt
es mag am Alter liegen
allerdings
unerwartet schieben sich
Bilder Szenen vor
versunkene
ach ja so war es
war es so
war es
gestern oder damals
geschwätzige Alte
erzählen wieder und wieder
was sie glauben erlebt zu haben
flüchtige Bilder
Gedankenfetzen
Echos nur
4
Aus dem Fenster im Zug
Wolkengeschichten
mit fantastischem Personal
Drachen Riesenschnecken
Schweinerüssel
Schädel mit irren Physiognomien
gebläht aufgepumpt
im Handumkehren zerfallen
die Nase wird ein Schnabel
das Auge ein Rachen
schon wächst ein
Fisch zum Hasen türmt sich zum Elefanten
ich habe Stift und Block nicht bei mir
schade
3
Kalender Text
Gewidmet meiner Frau und allen Liebenden ob alt oder jung
Wir zählen die Tage nicht
an denen du mir fehlst
die Tage gehen so oder so
wir zählen sie nicht
nicht mehr
mag sein
dass sich manches verliert
langsam schwindet
was uns lieb war
so suchen wir nach Bleibendem
das uns hält
und uns freut einander
in die Augen zu blicken
wie immer die Tage kommen
dass du da bist
gibt ihnen Gewicht
2
Scherbenhaufen
Meine Scherben
von Glas und Flaschen
brächten Glück
ich bin gespannt
der prachtvolle Wintertag
heute
verheisst alles
die TV News jedoch
schütten
nur Scherben
1
Allen
Allen die mich mögen ein Lächeln
ein Augenzwinkern den Kritikern
Prost und zum Wohl
aber allen
das war 2019…
52
Aus Kindertagen
Was wünschte ich zurück
aus meinen Kindertagen
den Tannenbaum im Kerzenlicht
den Gabentisch
rundum Schwestern und Brüder
alle
die Mette
ich wünsche nichts zurück
als liebe Erinnerung
füg ichs zu vielen andern
und
lass ich es in mir ruhen
51
Konstanz im Advent
Klimperdiklimper
Räuchlein hier
Weihräuchlein dort
Kerzengeflacker
Lebkuchendurft
Bratenrauch
herzhafter Biss
ins Dünnele
50
Wintermond
Ich mag das Dunkel
und ich mag das Licht
hinreissend
der Vollmond
in der Winternacht
49
Lyriktrümmer aufgereiht
Dem Wald
mit
Haut und Haar
weichen
Schrittes
Windsäuseln
dem Fluss bis ins Meer
oder
dem abweisenden Fels
immer
den weichen Hügeln
zarten Brüsten der Erde
vor allem
dem Kinderlachen
48
Vielleicht die Sterne
Setzen Sterne
den Rahmen
Kühle und Weite
von Schönheit
woher
der Reiz
von Düften
von Farben
von Klängen
unterschiedlichen Gewichts
angeboren
gelernt
gegeben
wer hat mich so eingerichtet
Herkommen
Landschaft
der Tag der Geburt
ein heller Ostermorgen
muss es gewesen sein
dass ich den Farben anheimgefallen bin
47
Nimm die Farbtabelle
Der Himmel brennt
brennt natürlich nicht
sonst wär er Hölle
nun aber
der Himmel brennt
so schaut er aus
der Herbst
wühlt in der Zauberkiste
und präsentiert uns Feuer
vor honiggelbem Firmament
grad jetzt
in einer halben Stunde
wird’s Aquamarin
mag sein Türkis
eventuell mit schwarzem
Wolkendrachen der Feuer speit
bedrohlich
im Wechsel mit Aztekengold
46
Die Spatzen (ein Geburtstagsgedicht für den Enkel Serafin)
Der Spatz der hats
im Herbst noch lustig
er pickt und frisst
er fliegt und saust
durch die Büsche
und manchmal
streitet er mit Kollegen
und zwar laut
kommt der Winter
wird es kalt
da frieren auch die Spatzen
sie plustern de Federn
und hocken nah zusammen
so haben sie warm
ich sitze wie die Spatzen
zu denen die ich gern hab
und die mich lieben
so haben wir warm
45
Die grosse Freiheit
Leere Stühle
noch Platz also
wollen wir uns setzen
drückt in den Schenkel
Kissen also
bitte
thronen
sitzen
hocken
Stuhl sei Dank
aufstehen
und weg
wir sind so frei
44
Kleine Freude
Die warmen Herbsttage
mochte ich schon immer
ich warte auf die Novemberstürme
mit Blätterregen und frühem Frost
wie viele Male habe ich das erlebt
immer mit etwas Herzklopfen
in der Vorfreude auf lange Leseabende
43
Ritornell
Wieso ertragen wir
die Dummen und Frechen
an den Hebeln der Macht
wie haben sie es dorthin geschafft
hinauf oder hinunter
Machtrausch Machthölle
wieso ertragen wir
diese Dummen und Frechen
wir lieben
frischen Wind um die Stirn
freien Geist
Füsse auf festem Grund
wieso ertragen wir
die Dummen und Frechen
42
Am Ende für + V. St.
Gehen
den Käfig verlassen
den selbstgefertigten
Zimmer Haus
Freunde
auf und davon
ausziehen
neu einkleiden
eintreten
ins Unbekannte
heiter und frisch
neu siedeln
wird schon werden
41
Noch mehr Fliegen
Mit neugierigem Respekt
betrachte ich
jene winzigen Fliegen
kaum grösser als ein Punkt
sie fliegen kopulieren fressen
in Scharen überfallen sie meine Küche
flüchten blitzschnell
will ich sie erschlagen
wie rasch doch mein Respekt
mutiert in Mordlust
wunderlich
fast schäme ich mich
40
Terra incognita
Noch sind
Landstriche zu erkunden
sie liegen zwischen den Sätzen
wirf deine Wörter
verschwörerisch
setze Sätze
Wörtertürme
lege
Wortgirlanden
zwischen die Zeilen
39
Fortsetzung mit Fliege
Die Sache mit den Ahnungen
von Herbst Winter etcetera
hat s ja in sich
sind diese Ahnungen eine Art
jahrzeitliches Bauchgefühl
oder
rumort es im Dichterbauch
nostalgisch nach Rilke
ach ein wenig Vergänglichkeit
hübsch morbid
passt zu Nebeltagen
zu älterem Jahrgang
und klingt verdammt ernsthaft
andrerseits
Fliegenleben sind kurz
meine sympathische Fliege
wird den Winter nicht überleben
38
Eigenartig Rührung
Eine schlanke Fliege
erkundet meine Hand
unerschrocken
sie scheint interessiert
und lässt sich kaum stören
durch meine Bewegungen
kümmert sie sich
um mich
ich bin irgendwie berührt
ist es mein Alter
oder
die Ahnung von Herbst
vielleicht eines ungewissen Winters
37
Mindestens
Täglich
die Pflicht
unaufgeregt
zu schauen
nachzudenken
nachzufühlen
und
furchtlos
sagen und tun
was ansteht
36
Innen und aussen
Allerhand
Sammelsurien
Berge von Weissichwas
über die Jahre
aussen
und
innen
die Sehnsucht
nach der Weite des Meeres
dem unendlichen Himmelsbogen
klingender Stille
35
Zwei und zwei
Zwei Kätzchen
zwei Mädchen
ah und oh
Amseln zetern
das Goldhähnchen
entwischt unter Stauden
golden und rot
oh
Kätzchen im Haus
Mädchen im Haus
ah
34
Die Stiefel
Wer besässe nicht gerne
die fabulösen Stiefel die
im Hui dich bringen von
da nach da
gegen alle Vorurteile
den Tritt in die weissen Flecken
deiner Biographie
hin und zurück
in Riesenschritten
33
Jetzt
Die Zeit wird knapp
das Ungewisse
ist das Gewisse
das Neue
ist schon
alt
32
Guten Morgen
Neben meinem Ohr
schnurrt ein Kätzchen
brummt ein Bär
knurrt im Traum der Löwe
ächzt die Haustür
seufzt der Stuhl
pustet pfeift und schnauft
hier dampft die Lok von Lukas
jammert das Täubchen
gurrt und gurrt der Tauber
ein Riesenschnarch
da knallts
und knattert wie ‘s Motorrad
guten Tag mein Schatz
da bist du wieder liebes Herz
31
Boot im Hafen
Netz
Drahtgeflecht
Lichtspiel
in ständigem Wechsel
auf der Bordwand
lichtadern
Lichtgarn
geknotet geknüpft
bleibt
keinen Lidschlag lang
Lichtspielzauber
30
«Trockenheit bahnt sich an»
Meteo SRF
Da
Äcker mit lahmem Gemüse
Schrunden Risse in der Krume
staubige Steppen
Strohwiesen
oder Wüste
schöne Wüste
unglaublich schön
noch sind da Bilder
sanfte Sillhouetten
Dünen als Akt
bizarre Felstürme
Tore Galerien Brücken
Sand
ocker porphyr henna
marmorweiss
Anthrazit Steinfelder
Antilope Giraffe Elefant
Rinder Jäger
auf Felsen
gezeichnet gehauen
Weite
und Stille
berückend und erhaben
was steht bevor
29
Der See heute
Hinter
hellgrünen Matten
der See
heute in Aquablau
oder ist es
Gletscherblau
vielleicht Vintage Light Blue
doch nicht etwa
Türkis oder Ozeanblau
auf keinen Fall
Kornblume und Himmelblau
auf jeden Fall aber
ein ruhiges Blau
und eigenartig
irgendwie überraschend
28
Schalter geschlossen (für E.B.)
Nach
irgendwo und nirgendwo
gibt’s heute keine Karten
du musst warten
vielleicht ist morgen
eine da
nach überall hin
und zurück
das wär ein Glück
die Karten nur für hin
die gibt es nicht
für dich
noch schwingt das Pendel
hin und her
27
Sommerabend
Laut singend
duellieren
zwei Amseln
Mauersegler
zersäbeln
den Abendhimmel
unverletzt
blau
wartet
das Firmament
auf den ersten Stern
26
Ohne
Spazieren frühmorgens
alle mit Hund
ich ohne
die alte Dame
nuschelt Unverständliches
klingt aber kritisch
mache ich mich verdächtig
ohne Hund
25
Nicht das Ende
Der Rhein tritt über die Ufer
der Dauerregen
spült deinen Schmerz nicht weg
lass dein Herz nicht ersaufen
man sagt bald werde es hell
und Blätter richten sich wieder auf
das Ticken des Tropfenfalls endet
morgen siehst du die Lastkähne wieder
24
Pfingstsamstagskonzert Komm Heiliger Geist (BWV 651)
Die Dame vor mir
liest im Bund
von SPD Krise und Trump
ich sehe es aus den Titeln
wir sitzen im Chor der Kathedrale
da plötzlich fegt
Bachs Komm Heiliger Geist
allen Mief aus dem Raum
23
Wörtersortierer
Wörter auf Linien setzen
eines manchmal zwei drei
stundenlang
wieder streichen und neue setzen
ein Stotterer
bis zum letzten Satz
22
Aktuelles auf dem Pult
Einladung zu Vernissage
Einladung zu Künstlergespräch
Einladung zu Buchkauf
Einladung zu Freilicht Ausstellung
und
drei Einladungen zu Essen und Wein
21
Mein Haustier
Ist klein
sehr klein
hat sechs Beine
hängt sich an die Zarge zum Esszimmer
auch an den Schirm meiner Mütze
baumelt und kraxelt blitzschnell hoch
am unsichtbaren Faden
Guten Morgen
Gruss am Mittag
zwinkert gute Nacht
denk ich
20
Wo ist der Gärtner
Die krausen Blätter auf hohen Stängeln
versprechen mehr als eine Mahlzeit
mit köstlichem Grünkohl
das Gärtchen an der Scheunenwand
hie und da sah ich den ältern Herrn
mit Bedacht darin arbeiten
heute überrascht mich eine gelbe Wolke
Blüten über Blüten des Grünkohls
wo ist der Gärtner geblieben
19
Postkarte im Mai
Auf meinem Arbeitstisch
die Venus von Giorgione
entspannt dösend
ich seh sie gerne
entspannt fast so wie sie
in unerotischer Heiterkeit
18
Ich hingegen
Kirschbäume in Blüte
es regnet nein es giesst
wie unpraktisch
die Natur
ich gäbe da
ein mildes Regenchen
mit genügend Sonne
17
Über mich selbst
‘Ob du dir selber ein paar huldvolle Verse ge(ver-)dichtet hast’
nein
habe ich nicht
huldvoll schon gar nicht
verdichten
tun sich in meinem Alter
bloss allerhand Leitungen in Bauch und Kopf
gesegnet und
mit grösstem Dank bedacht seien
nicht huldvoll sondern herzlichst
all jene die
noch durchlässig sind
von Schädel Kehle bis Darm und Zehe
16
Was hoppelt da
Im Frühling
möchte ich dies verschicken
mehrere Streifen Horizont in Türkis
drei Strophen Amsellied
von verschiedenen Sängern
dazu Meisenzirpen
Günsel und Dotterblumen
Bärlauchdüfte
und einen eiligen Osterhasen
15
Wenig
Man wünscht mir
langes Leben
Gesundheit und mach weiter so
ich wünsche mir
klaren Kopf für diesen Tag
und eine Hand
übers Haar zu fahren
wen ich liebe
14
Wieder
Blätter
Blüten
der Duft der Südbuche
Meisen in den Rosen
auf Rollschuhen
Mädchen
13
Trümmer
Wer rettet
Schönheit
aus tausend Jahren
Herkules
sortiere die Trümmer
und baue
12
Letzter Blick zurück
für Monika Schmid
Die Welt von gestern
geistert durch deine Träume
dein Vater
deine Mutter haben sie gekannt
haben gewusst wo Gott hockt
an ihrer Hand bist du
gewandert
durch Himmel und Hölle
durch den Rosenkranzgarten
zwischen den Erdbeerbeeten
und Kopfsalatalleen
im Flüstern des Engel-des-Herrn
und in der Furcht vor Stalins Kommunisten
Kronzeugen gottloser Verlorenheit
und sexueller Haltlosigkeit
gegenüber jedoch
die sichere Ruhe
des päpstlichen Ostersegens
der sonntäglichen Messe
samt Pfarrer und Kaplan
nun bist du alt
Geduld am Ende
Schweigen vorbei
deine jahrhundertalte Kirche
ein Trümmerhaufen
unglaubwürdig
lächerlich im Gehabe
beschämend
Leid tun dir
die Gutgläubigen
alle
ihr Fragen unbeantwortet
mit Dogmen weggewischt
heillos begraben
wie nur hat man helle Köpfe
domestiziert
Kinder abgerichtet
mit scheinheiliger Macht
schäbige Segenswelt
Strich darunter
11
Wörter ohne Inhalt
Die Passwörter von gestern
klappern noch als Worthülsen
flott gebraucht
von allerhand Jongleuren
mit und ohne Heiligenschein
Handliches wie
Freiheit
Unabhängigkeit
Wahrheit
Gott
10
Insel
Das Telefon
schweigt
gekappt der Draht zur Welt
bin nun
Robinson
09
Passwort III
Wir haben viel gehört
wir haben viel gesehen
wir haben Vieles erwogen
und Vieles gemacht
der Kopf ist voll
Lust Schmerz und Freude
gaben sich die Hand
tief liegen die Erinnerungen
das Herz ist voll
noch suchen wir
das Wort das alles in sich fasst
08
Passwort II
«Nein», sagt Ayelet. «Gott existiert nicht.»
Und sie brauche ihn auch nicht mehr. >Sonntag, 11.02.2018, 09:12 Uhr DRS
Sie hat das Passwort geändert
die Welt hat nun einen neuen Namen
nicht mehr Schöpfung
nur mehr meine Welt
mein Tag
diese Nacht
das Passwort
ich oder du
07
Von 8-21 Uhr
Im Zug
mit 20 Minuten
quer durch
etwas Alltag etwas Politik
etwas Stau etwas Szene etwas Sport
etwas Sex etwas Horoskop und Garfield
dann
Bus
Schneematsch
Kaffee und Tagblatt
Staubsaugen Salatteller
Siesta Kanapee mit Francesca Melandri
Alle, ausser mir
Telefonate und nochmals Kaffee
Waschmaschine ausräumen tumblern
News Tele Abendbier
was ist das Schlüsselwort
für diesen glücklichen Tag
06
Passwort I
Sesam öffne dich
jeden Morgen gesagt
und
schon ist die Sonne da
Regen oder Schnee
immer das Licht
Passwort
zu den geheimen Schätzen
des neuen Tages
05
Bruchlandung
Es beginnt im Kühlschrank
Überfluss oder Leere
Duft und Moder in der Nase
im Hirn ratterts von Versäumnissen
der Blick aus dem Fenster
TV News oder ein Anruf
wären Varianten
Decke oder Bad
retten dich
vielleicht ein Espresso
wieso juckt es immer dort
wo man nicht hin greifen kann
04
Was zu sagen ist
Du
bist
mir
ein Segen
03
Anderes Wortspiel
Wenn der Morgen eklig beginnt
etwa mit einem tollen Hexenschuss
wenn im ersten Anruf
du hörst von verbockten Menschen
von Krankheit Scheidung Lug und Trug
wenn dich weit und breit
wirklich nichts anlacht
beginnt da die Wortreihe etwa mit
pilzfaulig
scheisskotzig
und so fort
halt die Nase zu
mein Freund
schliess Aug und Ohr
kneif dich
dann stelle fest ich lebe
und freu dich
02
Jahrsauftaktwortspielerein
Morgentaufeucht
Heiterkeitspanne
stoppelsamtseidig
Glückskollision
Nebelvorhanglöcher
vollumrundetrund
schmetterlingsleichtluftig
Misserfolgsfreude
Wolkenbalkenfenster
01
Frisches Jahr
Vor uns liegt ein frisches Jahr
eingenebelt von Raketen
eingeknallt und eingeprostet
fürs Erste scheint noch alles scheint offen
es liegt an uns was werden wird
pilzglanzduftig
2018
52
Frage und keine Antwort
Wie ist das eigentlich gekommen?
Alles, was früher Weihnacht ausmachte, kommt jetzt vor Weihnachten…
Lassen wir‘s und schenken irgendwem eine kleine freundliche Geste.
51
Kerzen
Eine Kerze für alle Freunde
die nicht mehr sind
eine Kerze für alle Freunde
in Sorgen
eine Kerze für alle Freunde
in Schmerzen
eine Kerze für dich
ob ich dich kenne oder nicht
50
S isch halt e soo
Früener isch mr am Morge id Rorati
has gern gmacht und zwor jede Taag
hüt gang i no mengmol
sisch aber nüme sGliich
Gschichte dehender send
bleich worde
oder scho ganz veschwunde
so schmeggts halt nono e bitzeli
noch de säbe Chindheitserinnerige
au wennt nochher e Biberli zom Kafi nensch
wered die Geschichte nüme farbiger
s isch halt e soo
49
Bedrohliche Situation
In den Gassen wachsen die Tannenbäume
mit Plastikglitzer und Lichtergirlanden
überall Fest Fest Fest
feiere feiere geniesse
besoffen von Festlichkeit
benommen von Duftschwaden
träumst du
von einer nur einer Kerze
einem Glas Wein nur einem
oder zwei
und wartest aus den Bus
48
Am Anfang
Im Nebel wird alles zur Ahnung
er ist mild und gütig
nimmt dem Morgen die Härte
noch hat der Tag kein Gesicht
setz dich und
warte auf das Schlüsselwort
47
Wettersprüchlein
Der Sommer weiss nicht
ob er herbsten will
der Herbst bleibt Herbst
tut wie gesagt sein Bestes
der Winter grübelt
wie er’s nun haben will
und ich
sitz hier und warte
46
Respektabel
Der Herbst
macht einen respektablen Abgang
mit Wind und Farbe und Sonnenuntergängen
fotogen
wir Menschen mögen das
obschon
ich höre schon die ersten husten
so ist es nun
doch doch respektabel
45
Ach Rilke
Der Tisch ist kalt
die Heizung spinnt
die Finger klamm
ich denk an Sonne
oder heissen Tee
Gedanken drehen Pirouetten
Zeitung
gelesen ist gelesen
wahr ist
hier ist es kalt
44
Im Deutschen Theater
Herr Hartmann
hat eine gute Idee
er inszeniert Hamsuns Hunger
die Schauspieler
tun dies und das sagen oder schreien dies und das
der Zuschauer
schaut und denkt
greift nach Gesten und Wörtern puzzelt im Kopf und
kriegt die Sache einfach nicht hin
die verdammt gute Idee
43
Einfall beim Suchen nach passenden Bildern
für Menschen vor einem polnischen Heiligenbild
Bei Recyclern finden sich grosse Ballen
gepresst aus Papier aller Art
sie sind gesprenkelt und wirken kompakt
ich vermute von beträchtlichem Gewicht
zusammengehalten von irgendwelchen Bändern
löst man sie
zerfällt der Block früher oder später in seine Bestandteile
42
Zwölfter Oktober 2018
Drei Spatzen flitzen über meinen Kopf
ich spüre den Wind
es sind die frechen heiteren Gesellen vom Sprengelpark
Teil einer grösseren Gang
täglich überrascht und erheitert
durch ihre unverfrorene Lebendigkeit
mein Gott wie gerne wäre ich
ein Mitglied ihrer Bande
flöge Passanten um die Ohren
zeterte stritt lümmelte
frässe von Boden und Tisch
grad wies kommt
bis zu jenem Frühwintertag
wo man mich fände
reifüberzogen im Laub
41
Reisen bildet
Bei Unsicherheit
fragen Sie die Durchsetzungsstelle
oder informieren Sie sich in der Brotmeisterei
oder im Sekretariat des Backwarenzusatz-Verbandes
40
An der Böschung
Ein Bagger kratzt die Böschung frei
schiebt Strünke zu Haufen
Wurzelstöcke beten die Wolken an
und warten bis der Blitz sie trifft
39
Nostalgisch
Wenn der Sommer
in den Herbst kippt
mit Früchten und Farbe
wenn Böen
Baumkronen leeren und
zum ersten Mal morgens
der Gedanke an Handschuhe
dann sagte du vielleicht
war ein guter Sommer
und fröstelnd
hörst du schon
wies knistern im Kamin
38
Sommer Grandezza
Unheimlich schön spiegelt
der Teich
Schilf Wald und
den makellosen Himmel
als wäre er selbst
nichts mehr und nichts weniger
als die Mitte der Welt
37
Nicht die Tauben von San Marco
Frühmorgens
gurren Tauben
kleine Motoren auf der Dachrinne
nervig und
du denkst an gebratenen Tauben
Frühstück gefällig
direkt ins Maul
wenn sie doch sängen wie Amseln
tschilpten wie Spatzen
nein nur grugrugru
wären hilfsbereit
wie bei Aschenputtels
zu Erledigendes erledigend
die Papierstösse sind beträchtlich
vielleicht aber sind sie
mahnende Stimmen
Urenkel jener Taube
am Jordan
ach was arschfrech sind sie
ungeniert wie die Tauben am HB
Fressbares suchend zu Fuss
zwischen den Beinen der Passanten
36
Auch die Saurier
Ein sonniger Morgen
und Tauwiesen
prachtvoll
über dem See dicker Nebel
am Radio miese Nachrichten
aber die Saurier
sind schliesslich auch ausgestorben
35
Verpasst
Ich möchte diese zehn Sekunden
zurückdrehen
nochmals neu ansetzen
andere Wörter wählen
und dann
ein Lächeln auf deinem Gesicht sehen
34
Manager
Wespen
Räuber am Tisch
fallen ein
zwacken von Schinken und Käse
hauen schwer beladen ab
und sind schon wieder da
unverfrorene schön gestylte Bande
ohne Gewissensbisse
33
Rang 4
Wie vertraut ist mir
Rang vier
das Podest knapp
aber eben verpasst
Kunst
braucht langen Atem
und Zufallsglück
32
Nachtrag zum Nationalfeiertag
Passabler Patriot
geübter Leisetreter
Faustimsackmacher
Stammtischrebell
31
Der rote Mond wandert
Der rote Mond am Firmament
jetzt
sitzt er auf der Flasche
Olivenöl aus Griechenland
rot in die Küche
abgewandert
allerdings
dorthin von Bertàs Monprà
Grappa
für Richard und Walter
wo er
als Rosamond
von ihren Wangen strahlt
30
Die Kirschen
O diese Kirschen
wann gab es sie so prall und saftig
Johannisbeeren hübsch aufgereiht
immer noch Erdbeeren Himbeeren
ein unglaublicher Sommer
abgeerntet das Getreide
langsam kriecht Trockenheit ins Land
was wird noch
29
Kleine Trouvaille bei Apuleius
Wohl nur von einer Göttin zu sagen
…zuweilen tanzte sie alleine mit den Augen
oder von Kindern
bevor sie
erneut versinken
im Spiel
(Apuleius. Metamorphosen p. 317)
28
Das Tischtuch
Ein Tischtuch
weiss mit farbigen Streifen
ein Tischtuch für Abende im Freien
ein fröhliches Tischtuch
für heitere Sommertafeleien
ein Tuch mit Geschichte
erworben mit Sammelpunkten
gehütet von Grossmutter zu Grossmutter
drei verschiedene Rot
drei verschiedene Grün
zweimal Gelb
vierundzwanzig Quadrate
ungefähr tellergross
in einem ein Fleck
verschuldet von
Hans wars nicht Walter nicht
Regula auch nicht
wars am Ende gar
ich
27
Lenkerin
Die Gezeiten immerhin
haben etwas Verlässliches
der schöne Vollmond bringt sie
die Alten wussten
er ist weiblich
freundliche Göttin die alles lenkt
Isis oder Maria
26
Was nun
Herr Bischof mag Kondome nicht
er sagt man solle ohne
Frau Müller sagt zu ihrem Mann
was weiss der Bischof denn von Sex
heisst’s doch er lebe ohne
25
Orthografisches Spielchen
Im Dunkeln
hältst du meine Hand
umhalst dich meine
hält dich mein Arm
umhalst du mich
mit deinem
und hältst du
Hals an Hälschen
nahe den Ohren
ist aller Halt verloren
24
Beim Schwimmen
Der spiegelglatte See
zaubert um den Kopf verspielte Spinnereien
Mückenfangsaltos von Fischen
über den Schwimmern
Froschquaken
als frommen Morgengruss
Schwirrkratzen auf Glatzen
so sind Libellen
wie schön sichs auf dem Rücken treibt
oben grosses Wolkentheater samt Reiherflug
zufrieden in den Morgen gleitend
23
Juni
Wir sagen dir adieu
Maria Maienkönigin
der Flieder ist verblüht
der Mai vorbei
die Himmelslust
weicht nun der irdischen
nicht zu verachten
sind ihre Freuden
wir leben gern
und seh’n uns wieder nächstes Jahr
22
Unpassend Ende Mai
Ein schrumpeliges Weibchen geworden
war jung und anschmiegsam
dass jetzt in der Nähe
der Tod warte
mache sie nachdenklich
und ein wenig unsicher
vorüber vorüber
rühre mich nicht an
könnten nur junge Mädchen
rufen
mit allerdings mässigem Erfolg
21
Adieu
Du sagst adieu
gehst
und bemerkst kaum
das Ungeheuerliche
eines jeden Abschieds
20
Nachdatiert
Dieser Text kommt eine Woche zu spät
tut aber so als sei er rechtzeitig erschienen
die Ziffer machts und gauckelt dir das vor
was solls ich habe gelernt
von Politikern und Produktbeschreibern
19
Già la vita
Già la vita sta correndo
per le sue vie storte
quando con il sacchetto dei rifiuti
scendo le scale
con un pensiero in mente
ogni scalino spinge
verso il cancello
passo l’androne
raggiungo il cassonetto
alzo il coperchio e getto
del mio di ieri dentro
e guarito ritorno
dove tutto m’è noto
come straniero
dando uno sguardo al cielo
Gedicht des Freundes in Rom – Roberto Righi
18
Marienlob
Sie sagen dir
Jungfrau
Adams Sünde habe
dich nicht verdreckt
kleine Magd
junge Frau
uns hingegen hat es erwischt
sagen sie
man hat dich
Unbefleckte
hinaufgehoben
hoch über unsere Köpfe
da stehst nun
17
Dilemma in Rom
In Roms Kirchen
bleibt der Atem weg
weil Michelangelo
so blendend gehauen hat
Raffael so gekonnt
und Caravaggio
und weiss ich wer auch
so grossartig gemalt haben
ob all der Denkmäler
einst mächtiger Kirchenfürsten
die unbescheiden
an den Wänden kleben
weil aber
draussen
die Touristenwalze droht
atmet sichs dann
drinnen
doch wieder besser
16
Alles
Alles
muss man wieder ablegen
nach und nach
15
Wo ist der Himmel zu Hause
Anhimmeln
kennen wir
wie aber gehen
abhimmeln
vorhimmeln
einhimmeln
aushimmeln
durchhimmenln
was lieber Leser
wenn ich dich
einhimmle
genau jetzt
14
Erinnern
Der Frühling
holt versteckte Bilder der Kindheit
das kleine Rinnsal mit knallgelben Dotterblumen
das lustige Gemurmel am Wiesenrand
der Duft von Mädesüss
ein Bach ein Bächlein unter Weiden und Erlen
ein Laubfrosch
Krebse unter den Steinen
Larven der Köcherfliegen in ihrem gemauerten Panzer
ein Teich mit Fischen Fröschen Libellen
ein Molch mit orangem Bauch
Wasserläufer flitzen über Sonnenspiegel
13
Querer Gedanke
Schöne
junge Menschen
bezaubernd
Gedächtnisstau
krakelige Handschrift
Rückenschmerzen
wird trotzdem auch eure Zukunft sein
12
Glücklicher Morgen
Ein Mädchen mit Schulsack
trödelt in den Morgen
unversehens eine Pirouette
Buchfinken singen
zwischen den Wolken
etwas offenes Himmelsblau
11
Innere Freiheit
Kleine Lachen
im Kiesweg
spiegeln
Sonnenglaslöcher
die Menschen
gehen achtlos drüber
10
Grounding
Abwärtz
schwierig zu schreiben
tz wie z
die kleine Hand
setzt
zögernd
das Wort ins Heft
ts ts sagt der Alte
schreibs mit t und s
so bleibt noch Raum
z ist
Schluss fertig Amen
09
Kein Dilemma
Wenn
die Linke weiss
was die Rechte tut
sagt die Linke
Ist nicht mein Bier
am gleichen Körper
reiner Zufall
08
Lieber Freund
Lieber Freund
komm wir
wir bauen die Kulissen ab
vielleicht
sehen wir dann
wer im Schnürboden hantiert
07
Die Nebelwisser
Die Lust
am Nichtwissen
kalbert
Führer
06
Ernst der Dichter
Ernst findet ‚neulich’
nicht in seinem Vokabular
‚neulich’ sei neu
‚kürzlich’ passe ihm
ich ‚eben erst’ oder ‚letzthin’
‚kürzlich’ sagt er tut es
das Leben ist auch kurz
05
Auch ich bin ein Mann Herr Gomringer
Ich gestehe
ich mag Bäume
ich mag Alleen
ich mag blühende Bäume
ich mag Blumen
ich mag Blumenwiesen
ich mag Blumensträusse
ich mag Rosen auf dem Tisch
ich mag Frauen
ich mag junge Frauen
ich mag elegante Frauen
ich mag alte Damen
…in Berlin soll Gomringers schöne Avenidas-Gedicht übermalt werden, weil sexistisch…
04
Eine Verneigung vor der im Oktober verstorbenen Lyrikerin Elisabeth Heck
Bevor
ein Schritt
den neuen Tag
wie Glas
zertritt
Elisabeth Heck in Hauch in die Kälte (1995)
Die Buchhandlung zur Rose St. Gallen verfügt über Restexemplare verschiedener Publikationen dieser Dichterin.
03
Naturbelassen
Dass Milliardäre
Staaten leiten
verdient heutzutage
keine besondere Beachtung mehr
das wächst wie Unkraut
wilde Ruderalflora
Disteln zum Beispiel
hemmungslos aussamend
zu stachligem Paradies
02
Der Grossvater erklärt Serafin den lieben Gott
Das ist der Kirschbaum
der ist aus dem Kirschkern gewachsen
den hat ein Rabe ausgeschissen
der Rabe ist aus dem Rabenei geschlüpft
wer hat das Ei erfunden
den Raben erfunden
den Kirschbaum gemacht
das ist der liebe Gott
Der hat keine Hände
wie macht er es denn
er sagt es
er hat keinen Mund
er denkt es
er hat keinen Kopf
er ist der liebe Gott
er hat alles und nichts
er kann alles und nichts
er tut alles und nichts
er ist alles und nichts
so ist der liebe Gott
wir wissen
er hat den Kirschbaum gemacht
den Raben und sein Ei
wir kennen den Kirschbaum
die Kirsche und den Kirschkern
wir kennen den Raben und sein Ei
den lieben Gott
kennen wir nicht
er ist der liebe Gott
und den Kirschbaum hat er gemacht
01
Neujahrs-jaja
Das alte Lied
die alte Leier
Neues
eventuell
ja ja
2017
52
Jetzt
Punktgenau jetzt
genau jetzt
genau dies
und wieder genau jetzt
nach jedem Lidschlag ein neues BIld
wieder und wieder
genau jetzt
genau dies
51
Ihn
Sie sähen ihn gerne
den da
sie sähen ihn gerne leibhaftig vor sich
dann sagten sie
so ist also der da
jetzt kennen wir ihn
den da
ihn
50
Das Unerwartete
Dass zwei Nachbarinnen
morgens
ihre Federbetten ins Fenster hängen
gleichzeitig
wie ich
hat keine weitere Bedeutung
ebenso wenig
die Feststellung
dass mehrfach im Haus
gleichzeitig
die Klospülung läuft
das Unerwartete wartet weiterhin
Im Oktober ist die St.Galler Schriftstellerin Elisabeth Heck im 93. Lebensjahr leise von uns gegangen.
„Bevor / ein Schritt / den neuen Tag / wie Glas / zertritt“
Neun Wörter und was für eine Weite der Gedanken: da spricht Hoffnung, da spricht Vorsicht, da spricht Respekt und Behutsamkeit, da spricht Denken.
49
Tageslauf
Am Morgen sagt er Amen
als wäre der Tag schon gelaufen
als wäre getan was zu tun ansteht
am Morgen klappt er die Bücher zu
die er nachts nicht gelesen
verlässt das Haus
und denkt im Gehen Löcher in den Tag
48
Black Saturday
Die Türkränze sind verkauft
Mooskissen wären noch da
Biedermeiersträusschen
exotische Fruchtstände
Broze Kunstkitsch
eine Triefnase
für mich
47
Erinnerung an Wien
Ein Platz mit Wasserspiel
auf drei Seiten
Fin de siècle mit Rundtürmen
Pariser Attidüde
auf den Ruhebänken
Griechenland Balkan Türkei
46
Passt immer
Etwas leiser
vielleicht
gescheit geworden oder nur erfahrener
Haar weg
allenfalls schütter
vorsichtig
oder wackelig
der Gang
alles mit etwas
etwas passt immer
45
Zuwendung
Ja
was
hast
du
denn
gegessen
44
Rückblick
Schon
wieder
Rückblick
rasend
der Zeitlauf
wieso sagen wir das immer wieder
wie gnädig ist doch
Vergessen
wie beruhigend die Gewissheit
auch das Schlimmste
nimmt ein Ende
43
Wir
Die Hinterlassenschaft
vergangener Jahre
sind wir
42
Eignet sich auch als Wurstpapier
Vor und nach der Wahl
Unterschieben
schieben
treten
vermuten
verschreien
versprechen
versprechen
vergessen
vermuten
treten
schieben
unterschieben
41
Gruss aus Wien
„Aufstand werden’s keinen machen, die Wiener, solange es Bier und Würstl gibt.”
ein schöner Satz
passt auch für Chinesen und Schweizer
sofern sie Würstl mögen
wie ich
40
Verstehen
Wir
warum
warum diese Welt
warum gibt es Leben auf der Erde
Theologen und Philosophen diskutieren
Physikern fehlen Antworten
momentan sagen sie
du blickst auf
Birnen
ein Baum voll Birnen
du stehst und du staunst
39
Bitte beeilen
Ich
warte auf
meine Altersweisheit
sie soll sich beeilen
ich bin bald achtzig
38
Herbst
Eine Blüte
am Apfelbaumzweig
probt den Frühling
37
Am Weg
Husch
eine Haubenmeise
grad neben mir
brechend voll rot
Apfelbäume
36
Gottes Frage
Du siehst nur Grau
es regnet und regnet
Sintflut
die Wolken kippen ihre Kessel
ich frage mich
wen soll ich da ersaufen lassen
die Es die Trs die Ks etcetera
oder
ihre Wähler
35
Eigenartig
Schädel
bleischwer
verschwitzt
dabei
wollte ich
luftig denken
heute
34
Nachtrag zur Kirchweih
Was sagst du nun
baroque is back
mit Fahne und Standarte
mit Hellebarde und Gardist
im Orgelgewitter
gerammelt voll
die Bänke
wie einst
wie einst
als draussen
der Höllenhund auf Säumige
luchste
potzhimmelherrgottsakrament
schon rochs nach Fegefeuer
gar nach Höllenbrand
keine Angst
jetzt sind alle friedlich
losgesprochen fromm
sehr nett und hungrig
nach Bier Wein und Wurst
im Haus voll Glorie Amen
33
Nach diesen Tagen
Bleibt noch
der Blick
auf die kleine Heiterkeit
auf drollige Missverständnisse
auf einen hie und da munteren Alltag
klagen was hilft das
32
Allerhand Bewegung
Die
Gletscher
schmelzen
die
Sportler
rennen
die
Zeit
läuft
31
Und ich
Wenn die Hügel
nicht mehr verbläuten
morgens oder am Abend
sich herausschälten aus dem Nebel
oder versänken ins Dunkel
nicht mehr
30
Letzte Wochen
Lange Sprossen der Rebe queren das Fenster
hangeln sich an Südbuche und Rose hoch
nahe am verholzten Stamm grüne Trauben
wieviele Wochen noch bis zur Reife
29
Ein Griff
So ist es
so war es
zum Greifen
nah
das Glück
28
Sprüchlein zur Ermutigung bei Gegenwind
Gegen den Wind
mit den Wellen
gegen Wellen von Wind
mit den Füssen in die Pedale
gegen Wind gegen Wind
wie die Wellen im Wind
27
Frage an den alten Theologen Werner
Es gibt keine Abkürzungen
sagst du
ins Paradies
ja
aber
Umwege
jede Menge
jeder dritte ein Irrweg
verschlungene Pfade
vorgezeichnet
in himmlischem Plan
heisst es
endloses
Rauf Runter
was nur hat den Planer getrieben
dir und mir das anzutun
und
wird dann
deine Tür auch meine
wenn wir Petri Schlüssel klappern hören
26
Mitsommer
Wenn
immer
Sonnenhelle liegt
auf Häusern und auf Strassen
und
Menschen
träge träumen
von langen Nächten
25
Für Trudi L.
Dem Tod
ein Lächeln
gegenübersetzen
voll Leben
24
Gestern Abend
Im Dunkelpurpur der Hügel
eine Handvoll
Lichtpunkte
23
Unerwartet ein Engel
Die Stimme
tat mir wohl
der Seufzer auch
und das Geständnis
ich weiss nicht wie ich es geschafft
ach Angela
du Swisscom-Engel
du hast ’s Problem gelöst
wie immer auch
es scheint vollkommen
sind auch Engel nicht
mir reicht’s
wenn sie so tüchtig sind
wie du
22
Wieder
Ein Morgen
das Licht
die Düfte
die Wärme
wieder
ein Tag
zu loben
21
Rosen
Rosen
die Illusion
heiler Welt
ich liebe sie
20
Verblichen
Man sagt
er sei
verblichen
entschwunden Gestalt
Gestik samt Laut und Farbe
du siehst vor dir die Urne
siehst ihn nur mehr
erinnernd und
erzählst dir selbst
Begegnungen mit ihm
in einem Jahr
rechnest du
seien auch sie
verblichen
so wie oben an der Säule
der Thronende
von dem niemand mehr weiss
wer er war
denkmalgeschützter
namenloser Schatten
19
Schön und gut
Gebt Raum
dem Schönen
und Guten
Bärlauch erobert
das Gärtchen
Maiglöckchen
nisten sich drunter
todsicher
18
Andernorts
Versuche zu vergessen
was ich so nebenbei
Im Netz
gelesen
das hatten wir doch schon mal
ich zapple im Netz
neue Untergänge
vor Augen
hinter mir
lässt Regen den Frühling platzen
andernorts blühen schon die Rosen
17
Verstehen
Verstehen
warum wir hier sind
warum gibt es die Erde
warum gibt es Leben auf der Erde
Theologen und Philosophen diskutieren
Physikern fehlen Antworten
momentan sagen sie
16
Osterrabatte
Newsletter
verheissen
neues Leben
In Haus und Garten
preisreduziert
Tauben ziehen Kreise
am Himmel
Pietros Colomba
zwinkert mir zu
noch ist Karfreitag
15
Gefällig
Kommentarlos
in den Frühling
gefallen
14
Sammeln
Noch trage ich die Hochzeitshosen bei Festen
man pflegt so auch älter noch Jugendresten
13
Kafffeesatz
Ein Satz
vor dem Kaffee
etwa
Frühlingswetter strahlt
im Satz
auch gelesen
12
Der Olivenbaum in Karres
3000 Jahre alt sei der Baum
sagst du
aus der Zeit von Homer
sagst du
verschlägt den Atem
mir Kurzatmigem
läse trotzdem gerne
in dem verwrungenen Stamm
von Aphrodite
und Sokrates
und ertastete
einen Vers der Ilias
11
Rinderphilosophie
Mein Enkel
mag Fleisch
nett
findet er
glückliche Rinder
nur
warum
schlachtet man sie
wenn sie doch
so glücklich sind
fragt er
10
Hinweis für Freunde
Falls ich eine rote Krawatte trage
bin ich noch kein Follower
von Trump
falls ich auf Raki verzichte
noch kein Anhänger
von Erdogan
und falls ich Gulasch esse
noch keine Verehrer
von Orban
allerdings
falls ich auch lüge
sind das meine ganz persönlichen
Lügen
09
Dilemma
Ich habe es ja immer gesagt
niemand hört mir zu
niemand
hat etwas gesagt
man hätte es ja hören können
08
Unverblümt
Feuchtfröhlich
den heiteren Aufstand proben
die Leute
einrastern
in Nette Langweiler und Scheisskerle
und ihnen
die Wahrheit
ins Gesicht posaunen
07
Taube oder Spatz
Die Taube auf dem Dach
kann mir gestohlen bleiben
ich
habe mich angefreundet
mit dem Spatz in der Hand
06
Den Namenlosen
Lokale Autoren
schreiben über Lokales
lesen in lokalen Lokalen
für Lokale
sie sind namenlos
und werden
bald vergessen
recht so
05
Winteridylle
Bergfahrt im Nebel
Talfahrt im Nebel
beschlagene Scheiben
die Hand reibt einen Sehschlitz
Fichten schneebedeckt
Wasserstürze
Zahnradrattern
wieso bin ich nicht im Rössli eingekehrt
04
Meine Fingernägel
Meine Fingernägel
erinnern mich
an meinen Vater
er mag um die 60 gewesen sein
erinnern mich an seine Fingernägel
breit hart etwas brüchig
mag sein bäurisch
sie sahen nach Arbeit aus
der Vater war Beamter
kein Bauer aber verbunden
der bäuerlichen Herkunft
sie war ein Milieu geblieben
er baute Ställe für seine Buben
schnitzte Kühe und Pferde
Bauer ist keiner geworden
von den Söhnen
geblieben sind uns
Hände mit breiten Fingernägeln
brüchig geworden
vom Schreiben und
vom Blättern in Büchern
wie er es auch zu tun liebte
03
Frühe Planung
Zwei Wochen
schon
sind zu ordnen
eventuell
Sicherheitszonen zu benennen
und Tummelwiesen
für die Liebe
02
Fragen über Fragen
(ausgelöst durch die Tatsache, dass sich unter den Umschlag meines Buchs Von der Liebe ein Buchinhalt von Peter Weibel eingeschlichen hat – ein sehr schöner zwar, aber halt nicht meiner…– Bitte schickt was falsch ist zurück an: mich/Verlag/Buchhandlung – alles wird ersetzt.)
Ist das der Wolf
im Schafspelz
ein Schaf im Wolfspelz
echter Wolf im Wolfspelz
ein falsches Schaf im Pelz
immerhin ein Schaf
oder ists
ein postfaktisches
Fake
weder Schaf noch Wolf
01
Lachen
Eine Träne
fürs alte Jahr
noch keine fürs neue
Lachen
steht bereit
weiss vom Weinen
bleibt
und
lächelt