Über mich

Geboren 1939 in Gossau im Kanton St. Gallen, Schweiz. Studierte in Mailand, Innsbruck und Konstanz Theologie, Deutsche Literatur und Erziehungswissenschaft. Bis 1999 Mittelschullehrer in St. Gallen.

Durch seine Schreibaufenthalte in Rom und Krems und seine Teilnahme an internationalen Literaturkongressen knüpfte der Autor Kontakte zu Dichtern in Kosova, Mazedonien, Albanien, Italien, Tunesien, Algerien, Spanien, Frankreich und Polen.

Ivo Ledergerber lebt und arbeitet in St. Gallen, wo er auch seinen Verlag betreut.

Ivo Graustufen-3

Ivo Ledergerber ist der Erfinder des Gedichtladens, öffentlicher kostenloser Vorlesereihen in einem Ladenlokal zu üblichen Geschäftszeiten.

 Monika Slamanig im TAGBLATT 10. Juli 2000

 „Einen Monat lang war er geöffnet, Ivo Ledergerbers Gedichtladen. An 23-mal neun Stundenschlägen Stundenschlägen und unzählige Male dazwischen hat er, haben andere vorgelesen und zugehört. Jetzt weicht die Poesie wieder dem Alltagsgeschäft.

„Was darfs denn sein?“ – wie viele hundert Mal Ivo Ledergerber nach den Wünschen der ‚ Kundschaft’ gefragt hat, wusste er am Schlussabend noch nicht. Er schätzt die Zahl der Gäste nach 23 Tagen auf gut 600. Das Gästebuch will er erst lesen, wenn der Gedichtladen sich wieder in die Töpferschiibe* zurückverwandelt hat und Ledergerbers 700 Poesiebände wieder zu Hause im Regal stehen, im intimen Rahmen, aus dem er sie vor einem Monat herausgeholt hat.

Nichts vorbeten

Um einen Rekord sei es ihm nicht gegangen, nicht darum zu belehren oder zu bekehren, auch wenn die sich stündlich wiederholenden Lesungen an das klösterliche Stundengebet erinnern. Geschweige denn eine Liturgie zu zelebrieren. Aber vom Laden habe ein Kraftfeld ausgestrahlt, findet der Lyriker. „Musste es einen nicht elektrisieren ob der Konzentration so vieler mächtiger Gedanken – und er zeigt auf  die Bücher – die diese verströmen?“ Das wollte er vermitteln, damit alle etwas davon haben und der Raum der Sprache gehört und nicht wie viele öffentliche Räume Einzelnen als Klagemauer dient.

Nach dem Was-darfs-denn-sein stand denn er mit den Gedichten im Zentrum, fesselte je nach Stimmung mit mehr oder weniger Pathos die Zuhörenden an die Texte, las gleich noch einmal, ganz der Lehrer, der er ja war. Um den Klang, die Farbe, das Gefühl einzumeisseln in die Ohrgewinde oder tiefer, ist er wie bei Prévert am vorletzten Tage – zehn Augenpaare auf ihn gerichtet – auch aufgestanden, wie um seine Stimme oder die des Dichters besser erheben zu können.

Oder wenn am Donnerstagabend, kaum waren die Wunschgedichte verklungen, es schon Zeit wurde fürs Finale. Zeit um den 23 Tagesautorinnen und -autoren des Gedichtladenmonats zu huldigen. Eisblaue Augen glänzen, ein Kindermund lacht schallend auf bei einem Popelgedicht, Blicke verlieren sich sinnend am Boden. Und drei Handvoll Gäste, vorwiegend Frauen, hängen an des Vorlesers Lippen und würeeh Ellend auf bei einem è am büüüünschen, es möge weitergehen.

Vom Echo überrascht

Müde? Natürlich, die langen Präsenzzeiten, den ganzen Tag laut lesen – und doch herrscht bei Ledergerber jetzt, da es vorbei ist, Wehmut vor. „Es war eine faszinierende Entdeckungsreise.“ Eine Fülle von neuen Gedichten habe sich ihm offenbart durch die Wünsche der Gäste. Die kamen und blieben, waren des Lobes voll. Manche fanden zufällig her, fast wider Willen, weil er sie vor der Tür hereingeholt hatte. „Oft sind jene, die keine Zeit hatten am längsten geblieben, viele regelmässig, weil sie ihn kannten oder es genossen, dass jemand ihnen vorliest. …

Viele waren dabei, die daheim Gedichte lesen und es nach gutem Zuspruch auch im Laden laut taten. Andere kamen mit Vorliebe an Donnerstagen, den Dichtenden aus der Region zu begegnen, ihre eigene Poesie aus der stillen Kammer heraus in die Öffentlichkeit zu tragen. …

Das Wort zum Ende

Letzter Abend und ein passender Zufall blickt auf die dutzendfach gestellte Frage, ob es denn irgendwo, irgendwie weitergehe, nur vielsagend in die Runde. Dann schüttelt er die Müdigkeit aus der Stimme, streckt sich eine weiteres Mal zur Decke und liest das erste Gedicht aus dem Buch, das der Zufall ihm beschert, Rose Ausländer – ‚Was vorüber ist, ist nicht vorüber; es wächst weiter in deinen Zellen, ein Baum aus Tränen oder vergangenen Glücks.’

* Kleines Antiquitäten und Kunstgewerbe Geschäft in St. Gallen.

2006 findet erneut ein vierwöchiger Gedichtladen am selben Ort statt. Kürzere Läden fanden in der Freihandbibliothek und im Historischen Museum statt.

 

Uraufführung ‚Steiner Requiem‘ Martin Preisser (Tagblatt 29.2.2016)

Die Uraufführung von Francisco Obietas “ Steiner Requiem“ vorgestern im Chorraum der Kathedrale St. Gallen geriet zu einem eindrücklichen, intensiven und teilweise unerbittlichen Abend. Der Text von Ivo Ledergerber schaut dem Tod sehr genau ins Auge.

Von traditionellen Requiem-Texten kann man sich oft einfach einlullen lassen. Bei den Reflexionen über Tod und Vergänglichkeit im „Steiner Requiem“ des St. Galler Lyrikers Ivo Ledergerber gibt es keinen Moment des ruhigen Zurücklehnens. Mit der Ehrlichkeit des menschlichen Nicht-Wissens’ wie Ledergerber selbst sagt, setzt er sich mit den letzten Fragen auseinander und versucht keine tröstenden Antworten.

Der Konfrontation mit der Unerbittlichkeit der Endlichkeit setzt Francisco Obieta über weite Strecken Musik entgegen, die auch Ruhe und Licht verströmt. Viele Partien des Textes verzahnt er wunderbar dicht mit seiner Musik, unterstreicht die Aussage von Dichterfreund Ledergerber.

Sich dem Text ausliefern Aber ebenso vielen Stellen setzt Obieta Kontrapunkte, setzt der aufrüttelnden, auch ängstigenden Unmissverständlichkeit Klänge der Milde, Töne des Tröstlichen entgegen, hegt musikalische Zweifel an den lyrischen. Sich dem Text musikalisch ausliefern und sich ihm aber auch entgegen setzen, daraus bezieht diese packende, mit stiller Leidenschaftlichkeit geschriebene Musik ihre Magie und Kraft. Der Lyrik Ledergerbers sind in elf Abschnitten Texte aus dem lateinischen Requiem gegenübergestellt, die Obieta mit musikalischen an die Quellen geistlichen Gesangs gehenden Männerchorpartien untermalt. Das sind die Ruhepunkte im rund anderthalbstündigen Werk.

Umso klarer heben sich die Texte Ledergerbers danach ab. „Welche Versprechen sollten wir einlösen?“ fragt das Requiem im dritten Abschnitt, einem ersten Höhepunkt der Komposition.

Am Rande des Aussprechbaren Francisco Obieta, meist neoklassizistisch, aber auch kirchentonal denkend, oft subtile Klangcluster einbauend, geht mit seiner Musik an die Ränder des Textes und des Aussprechbaren, lotet die Brüchigkeit an diesen Rändern genau aus und setzt den Todesreflexionen oft etwas Schwebendes, Offenes entgegen. Obietas Musik hält eine geheimnisvolle, oft sphärische Balance. Von Anfang an ist diese Requiem-Vertonung, der man weite Verbreitung wünscht, sehr vokal gedacht. Der Chor und die vier Gesangssolisten werden nicht statisch, sondern flexibel- variantenreich eingesetzt und kombiniert. Und das Orchester selbst steuert nicht nur Begleitung oder Klangfarbe bei, sondern wird zum beweglichen und fein austarierten Mitkommentar des lyrischen Geschehens.

Mutiges Engagement Leicht hat es Francisco Obieta den Musikern nicht gemacht. Umso eindrücklicher die Gesamtleistung an diesem denkwürdigen Konzert: mit den aufmerksamen, engagierten Klangkörpern Collegium Vocale und Collegium Instrumentale sowie einem bestens präparierten Vokalquartett (Kimberly Brockman, Renate Ineichen Guerra, Valentin Johannes Gloor, Matthias Haid). Kimberly Brockman gestaltete ihre Soli mit besonderer Inbrunst und Herzenswärme.

Domkapellmeister Hans Eberhard hat sich mit mutigem Zugriff dieser anspruchsvollen Uraufführung gewidmet. Seien Ausdeutung des Todesthemas geriet voll Innerlichkeit, konzentriert, reflektiert, ohne grosse äusserliche Gesten. Hans Eberhard schien diese beeindruckende Musik auch wie still für sich lauschend aus der Taufe zu heben. Ein besonderer Abend!